Das Erbe Trumps oder der vom Zweifel befreite Mensch

„Ich verachte die Intelligenz heißt in Wirklichkeit: ich kann meine Zweifel nicht ertragen“, schrieb Camus vor über einem halben Jahrhundert. Tauscht man „Intelligenz“ gegen Wissenschaft oder Elite aus, erfährt der Satz eine schneidende Aktualität. Und liest man die Selbstzweifel als ein Synonym für die Fessel der Zukurzgekommenen, so liefert er zugleich zumindest einen Erklärungsansatz für den Zulauf der populistischen Bewegungen in den letzten Jahren, der über das Ökonomische im Sinne des Zählbaren hinausweist. Da reicht es, dass man sich besser fühlt, selbst wenn es einem faktisch nicht besser geht. Und manch einer besteht dabei sogar auf seinem Recht, an dem Ast zu sägen, auf dem er selber sitzt. Wie kann das sein? Vielleicht weil so viele Menschen ihre eigenen Zweifel nicht länger ertragen? Vielleicht weil ihnen ein Weg gewiesen wurde, sich von der Bürde des Zweifelns im Angesicht der Intelligenz zu befreien?

Intelligenz (lateinisch: inter „zwischen“ und legere „lesen, wählen“) meint ja die Fähigkeit, zwischen Positionen wählen zu können. Eigentlich ein Zeichen von Freiheit, scheint die Wahl mehr und mehr zu einer Last zu werden, die wahrscheinlich noch nie so schwer wog wie heute, da der Mensch nahezu unbegrenzten Zugang zu Wissen, aber eben auch seiner Infragestellung hat. Wir alle leben in einer Phase des optionalen Overkills, wo die Wahl zur Qual wird, überflutet von scheinbaren Gelegenheiten, die uns ebenso locken wie lähmen und uns so auch immer wieder ohnmächtig zurücklassen, wo das Leben nach einer Tat schreit. Wir alle kennen jemanden, der – all dies ignorierend – an uns vorbeischreitet, als gäbe es keine Regeln, nur eine Ausnahme, der stets nur das Weiter, nie jedoch ein Zurück und schon gar keine Rücksicht kennt. Und keiner hat dies an exponierter Stelle den Zweifelsmüden so radikal vorgelebt wie Donald Trump. Also: Warum nicht auch ich?

Ja, warum? Weil noch der Stachel des Zweifels in einem steckt, im Fleisch wie im Geist; weil man noch mit Selbstzweifeln kämpft; weil da noch Reste von Scham und Skrupel dem anderen gegenüber an einem zerren; weil da noch ein Gewissen in einem schlägt. Der Zweifel erst macht den aus seinem Urzustand des naiven Glaubens erwachten Menschen zum Mit-Menschen. Aber er beendet auch jede Gewissheit. Und nichts ist anstrengender als der alltägliche Kampf gegen den Zweifel, gegen das Ungewisse. Könnte man dies doch hinter sich lassen. Sich von dieser Last befreien. Endlich wieder angekommen sein (wo man nie war) – und diesen Flecken Erde dann gegen jedermann, der ihn bedroht (und sei es nur im Geiste), mit allen Mitteln behaupten. Meine Welt!

Was für ein Leben wartete da. Verheißung von höchster Stelle. Absolution! Und dann erneut Jünger. Oder Allein-Herrscher. Kein Zweifel. Vermutlich reicht den meisten dieses erhebende Gefühl der Befreiung von etwas als Selbstzweck, während dessen Prediger die Negierung des Zweifels und die damit errungene Freiheit als Mittel für ihre Zwecke nutzen: den Aufbau eines quasi geschlossenen Systems, das weitestgehend immun gegen äußere Einflüsse ist. Missverständlicherweise wird dieses System nur allzu oft mit dem Phänomen der Parallelwelt gleichgesetzt. Wenn es das bloß wäre, dann wäre mir nicht bange. Parallelwelten hat es schon immer gegeben und wird es immer geben, sei es zwischen Arm und Reich, Nord und Süd, Modern und Archaisch, x und y. Parallelwelten sind nicht das Problem. Sie sind auch nicht das Resultat von etwas (wie bei dem geschlossenen System), sie sind vielmehr ihr Ausgangspunkt, so wie zwei Individuen doch nur die kleinsten Einheiten zweier parallel verlaufender Universen sind. Gerade die Akzeptanz der Existenz von Parallelwelten scheint mir vielmehr der erste Schritt hin zu ihrer Überwindung, zum sozialen Brückenbau. Dies ist die große Herausforderung an den den Zweifel aushaltenden Menschen: zwischen den Welten zu lesen und die Potenziale der gegenseitigen Bereicherung zu erkennen und ihnen zu folgen.

Ganz anders der von Verachtung getriebene, der sich nach dem Schweigen des Zweifels sehnende Mensch. Er lebt nicht in einer Parallelwelt, er lebt in seiner Welt und strebt nach deren Absolutierung. Er vermag eine Parallelwelt nicht anzuerkennen, weil allein deren Existenz schon eine Bedrohung des eigenen Weltbildes wäre. Denn das Zweifelsfreie ist das Unbedingte, jenseits dessen der reine Glaube wartet. Er duldet nichts und niemanden neben sich – allenfalls unter sich. Und selbst das nicht auf Dauer. Denn schlussendlich muss all das aus dem Gesichtsfeld geräumt werden, was diesen zweifellos entfesselten Menschen daran erinnern könnte, hinter sich gelassen zu haben, um frei zu sein. Frei von Zweifeln, frei von ehemaligen Weggefährten, frei in seiner Welt. Er ist zu fürchten, dieser Mensch.